Kornfiguren wurden schon vor 5000 Jahren gemacht. Ihre verschiedenen Formen sind überall gefunden worden. Es waren gewöhnlich Symbole der Fruchtbarkeit. War die letzte Garbe der Ernte gemäht, pflegte man aus ihr eine Kornfigur zu machen und veranstaltete riesige Erntedankfeste. Im Glauben, dass Ceres, die Göttin des pflanzlichen Wachstums, in der Kornfigur lebe, wurde diese zum Schutze der Göttin über den Winter im Hause aufbewahrt. Im Frühling warf man die Figur auf die Felder, damit die Göttin beim Keimen der neuen Saat mithelfen konnte.
Kornfiguren dienten auch als Opfergaben oder wurden einem heidnischen Gott verehrt. In Mexiko sind beispielsweise Kornfiguren in Form von Engeln gefunden worden. In Deutschland und Skandinavien wurden Dekorationsgegenstände aus Stroh und in Bulgarien aus Mais angefertigt. Nicht nur Figuren, sondern auch eine Vielzahl traditioneller, häufig symbolischer Formen wurden gewählt. Das Wort Figur oder Püppchen stammt in Wirklichkeit vom Wort Idol (Abgott).
(Auszug aus Familienbastelbuch von Ringier)
In der Schweiz habe ich bisher keinen Hinweis auf diese alte, bäuerliche Tradition gefunden. Offensichtlich wurde diese Art der Strohflechterei vor rund 30 Jahren von England in die Schweiz gebracht und ist nun auch hier weit verbreitet.
Im englischen Sprachbereich spricht man allgemein von «Wheat weaving». In neuerer Zeit entstand in England der Begriff «Corn dollies» für Ährengelfechte traditioneller Art. Sie werden neuerdings auch als Glücksbringer betrachtet und z.B. an die Haustüre gehängt.
Diese traditionelle Art der Strohverarbeitung ist nicht zu verwechseln mit der handwerklichen Strohflechterei zur Herstellung von Strohhüten und Garnituren, welche sich über rund zwei Jahrhunderte weltweit zu einer bedeutenden Exportindustrie entwickeln konnte. Mit unserem heutigen Wissen, können wir jedoch davon ausgehen, dass sich beide Verarbeitungsarten über die Jahrhunderte gegenseitig beeiflusst haben.
Hubert Boschung, August 2000
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